Esther Adam verspannt einen gefundenen Ast zwischen zwei Säulen im Großen Galerieraum. Dazu nutzt sie die ausgreifende Struktur des Baums selbst und verbindet diese mit stark farbigen Spanngurten. So entsteht eine gewaltige Sperre im Durchgang von einer Seite des Raums zur anderen, die wiederum die architektonisch auffälligen Säulen, die seit deren Weißung im Zuge der letzten Renovierung der Galerie alles tun, um sich zu verbergen, betont und damit die Teilung des Raums verstärkt. Esther Adam aktiviert andererseits einen Ort für eine fast bildhafte Hängung, der sonst autonom präsentierbaren Skulpturen vorbehalten ist. Diese Bildhaftigkeit hängt (im wahrsten Sinne des Wortes) damit zusammen, dass sie mittels der (amorphen) Linien des Asts und der Spanngurte im Bildformat zwischen den Säulen eine beinahe konstruktivistische Verhältnismäßigkeit schafft. In der allerdings die Naturform des verzweigten Asts, seine unkontrollierbare Zeichnung und seine sprunghafte Farbigkeit, eine dauerhafte Irritation gegenüber den exakten Geraden der Spanngurte erzeugt, die durch die Auspendelung an der Spitze des Asts, von der eine Kette mit einem Glasprisma herab hängt, noch verstärkt wird.
Bildlich wird deutlich, dass es um Gewichtungen geht, und in der physischen Präsenz des schweren Baumholzes überträgt sich dieser abstrakte, visuelle Eindruck in die Erfahrung von Gewicht und Gewichtübertragung, immer mit der Frage, wer hier eigentlich wen trägt. Der physischen Erfahrung der Betrachter*innen und dem Bild, das sich von den beiden Hauptansichtsseiten in unterschiedlichen Gewichtungen erfahren lässt, stellt Esther Adam verschiedene Assoziationen zur Seite. Die in dieser Anordnung aggressive Häutung des Asts wird nachvollziehbar gemacht, indem die gestückelte Rinde in zwei Plastikbeuteln ebenso von den Spanngurten gehalten wird wie der Ast selbst. Dass die Plastikbeutel an einem Kleiderbügel, absurderweise wie die Waage Justizias, hängen, verdeutlicht unmissverständlich, dass es sich um die eigene Hülle des Asts handelt.
carrying:
to care for a tree
sorry I have already stripped you, in an attempt to get closer to you - to approach you.
Peeled off the green bark - kept it and hung it up.
In balance on a wire coat hanger.
never again.
Colored lines vertical
One horizon
All that gear.
Only touched by the cursor on my screen.
All that gear.
Stability and chains and slings and straps and tension belts.
Weight is distributed several times.
pillars, colomns.
The tree is twisted and has the shape of a tuning fork
to tune.
caring:
to carry a tree
Die Künstlerin hat den Kleiderbügel auch deshalb als Gewalt assoziierendes Symbol gewählt, weil es für selbst durchgeführte Abtreibungen steht, ebenso ließe sich aber auch die Darstellung christlicher Märtyrer aufrufen, wenn man an bildliche Repräsentationen des gehäuteten heiligen Bartholomäus denkt, der wie in Michelangelos Jüngstem Gericht in der Sixtinischen Kapelle mit der eigenen Hülle in der Hand dargestellt wurde. Dass Betrachter*innen zumindest frei sind, solche Assoziationen aufzurufen, macht Esther Adam deutlich, indem sie ihrer Arbeit eine poetische eigene Perspektive darauf zuordnet und an eine der Säulen einen kurzen Text geheftet hat, den man sich mitnehmen kann, der also auch für sich steht. Eine dauerhafte abstrakte literarische Reflexion über die Auseinandersetzung und Arbeit mit einem Baum, aber auch eine lokale Ansprache an das eigene Werk.
Ingmar Lähnemann, Städtische Galerie Bremen
Foto Credits: Franziska von den Driesch